20. Juni 2022
"Gleicher Stahl, aber CO2-neutral": Saar-Stahlwerke verabschieden sich vom Hochofen. Vorstandschef Karl-Ulrich Köhler will die saarländische Stahlindustrie radikal umbauen. Eine Verschärfung der Klimarichtlinien hält er aber für kontraproduktiv.
Der saarländische Stahlkonzern SHS will mit einem umfangreichen Investitionsprogramm seine Produktion auf klimaneutralen Stahl umstellen. "Um unsere CO2-Ziele zu erreichen, werden wir in der ersten Phase 2,8 Milliarden Euro investieren müssen", sagte Vorstandschef Karl-Ulrich Köhler dem Handelsblatt. Unter dem Dach der SHS produzieren Saarstahl und Dillinger Hütte jährlich rund fünf Millionen Tonnen des Werkstoffs.
Mit dem ersten Schub will Köhler die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 um 65 Prozent senken. In der zweiten Phase soll der Ausstoß des Klimagases um insgesamt 80 Prozent gedrosselt werden. Dieses Ziel sei für 2045 avisiert, wie Köhler sagte. "Für den dann noch verbliebenen CO2-Ausstoß werden wir bis 2045 noch konkrete Maßnahmen festlegen." Die Produktion von Stahl gehört zu den CO2-intensivsten in der Industrie. Allein die Saarhütten stoßen Jahr für Jahr etwa acht Millionen Tonnen Kohlendioxid aus.
Im Zuge des Umbaus werden Dillinger Hütte sowie Saarstahl ihre Anlagen grundlegend umbauen. "Wir verlassen die alte Metallurgie zu 100 Prozent", sagte Köhler, der zuvor bei Tata Steel und Thyssen-Krupp gearbeitet hatte. Den ersten Hochofen schaltet SHS in der ersten Phase also bis 2030 ab, den verbliebenen zweiten dann in der nächsten Phase. Ersetzt werden die Hochöfen durch eine sogenannte Direktreduktionsanlage, die mit Erdgas oder später Wasserstoff betrieben wird. "Der Stahl wird letztlich der gleiche sein, aber CO2-neutral."
Köhler warnte vor neuen Auflagen für die Industrie, wie etwa die Abschaffung kostenloser CO2-Zertifikate für die Stahlindustrie. Dies würde Milliarden kosten. "Unsere Ergebnislage lässt das nicht zu, das können wir nicht gleichzeitig mit den großen Investitionen für die Transformation stemmen", sagte Köhler.
Herr Köhler, seit über 400 Jahren wird Stahl im Saarland hergestellt. Ist damit bald Schluss?
Es ist unser festes Ziel, den Stahl zukunftsfest zu machen. Wir werden daher unsere Standorte auf die Produktion von grünem Stahl, also CO2-neutralen Stahl, umstellen. Diese Transformation ist die größte Herausforderung in unserer Geschichte.
Damit folgen Sie dem Kurs der EU-Kommission, die diesen Kurs festgeschrieben hat.
Wir haben uns auf die genannten Ziele verpflichtet und wollen unsere Umwelt schützen. Dafür müssen wir uns erneuern. Man muss aber auch sehen, dass in Brüssel Pläne entwickelt werden, die wir kaum erfüllen werden können.
Die EU will die kostenlose Zuteilung von CO2-Zertifikaten eingrenzen. Was wären die Folgen?
Wird das in der vorgeschlagenen Form umgesetzt, dann muss die Stahlindustrie insgesamt in diesem Jahrzehnt einige Milliarden Euro zusätzlich ausgeben. Unsere Ergebnislage lässt das nicht zu, das können wir nicht gleichzeitig mit den großen Investitionen für die Transformation stemmen. Wir hoffen, dass Deutschland und andere EU-Länder da intervenieren, damit wir den eingeschlagenen Kurs fortsetzen können.
Die Produzenten von Eisen und Stahl sind doch mit die größten Emittenten von Kohlendioxid. Die Firmen müssen doch ihren Beitrag leisten.
Das machen wir doch. Wir haben gerade erst einen Investitionsplan verabschiedet, mit dem wir den Weg nach vorne beschreiten können. Alle Gremien haben zugestimmt, auch die Montan-Stiftung als unser Eigentümer. Wenn uns aber das Geld genommen wird, weil wir in großem Maßstab CO2-Zertifikate zusätzlich ankaufen müssen, dann schaffen wir es nicht.
Es wäre das Ende?
So weit gehe ich nicht. Die EU meint ja das Richtige, aber das Gegenteil würde erreicht.
Wie meinen Sie das?
Dillinger produziert Grobbleche, die in 80 Prozent aller Windkraftanlagen auf See eingesetzt sind. Wir leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Energiewende. Daher müssen wir hier eine gemeinsame Lösung finden.
Erster Hochofen wird bis 2030 abgeschaltet
Wie sieht der Umbau aus?
In der ersten Phase erreichen wir bis zum Jahr 2030 eine CO2-Reduktion um 65 Prozent und bis zum Jahr 2045 von 80 Prozent. Für den dann noch verbliebenen CO2-Ausstoß werden wir bis 2045 noch konkrete Maßnahmen festlegen.
Werden Ihre Hochöfen - also das Herz der Produktion - vom Netz genommen werden?
Wir verlassen die alte Metallurgie zu 100 Prozent. Den ersten Hochofen schalten wir in der ersten Phase also bis 2030 ab, den verbliebenen zweiten dann in der nächsten Phase. Ersetzt werden die beiden Anlagen durch eine Direktreduktionsanlage. Der Stahl wird letztlich der gleiche sein, aber CO2-neutral.
Sie sind seit über 40 Jahren in der Industrie, waren bei Thyssen-Krupp und bei Tata Steel. Schmerzt es Sie nicht, dass die
Hochöfen verschwinden?
Nein. Ich bin aus Leidenschaft beim Stahl; ich liebe die raue Umgebung und das flüssige Material. Mit den neuen Aggregaten wird das nicht anders werden.
Welche Auswirkung hat der Umbau auf Ihre Belegschaft?
Das hat Folgen, aber auf die Jahre gesehen begrenzte. Wir werden langfristig von unseren rund 12.700 Arbeitsplätzen einige 100 verlieren. Das wird aber über die vielen kommenden Jahre hinweg sozialverträglich geschehen.
Wann rüsten Sie den Anlagenpark um?
Sobald die Förderzusagen da sind, werden wir unmittelbar damit anfangen. Das sollte Anfang kommenden Jahres geschehen. Wir können das aber kaum allein stemmen, da unsere Finanzkraft für diese enormen Summen nicht ausreicht.
In welchem Umfang werden Sie investieren müssen, und was soll der Staat beisteuern?
Um unsere CO2-Ziele zu erreichen, werden wir in der ersten Phase 2,8 Milliarden Euro investieren müssen. Zwischen 30 und 40 Prozent der Summe sollte durch eine Förderung übernommen werden.
Der Staat soll also über eine Milliarde Euro beisteuern?
Ohne das wird es kaum gehen. Aber es ist ein lohnender Weg. Bei einer jährlichen Stahlproduktion von knapp fünf Millionen Tonnen fallen rund acht Millionen Tonnen CO2 an. Mit unserem Umbauprogramm fallen die weitgehend weg.
Warum stellen Sie die Produktion erst jetzt um, wenn es schon früher möglich war?
Bei der Direktreduktionsanlage wird zunächst Erdgas als Energieträger eingesetzt, später steigen wir auf Wasserstoff um. Beides ist teurer als das bisherige Verfahren, weswegen es sich in Europa nie gerechnet hat. Hierzulande müssen wir 80 bis 100 Euro pro Megawattstunde Gas bezahlen. In Texas sind es lediglich sieben Dollar. Diese Mehrkosten schlagen sich letztlich auf den Stahlpreis nieder.
Erdgas als Übergangslösung
Warum verlegen Sie den Standort nicht, wenn Gas in Deutschland so teuer ist?
Wir sind integrierter Teil der industriellen Wertschöpfungskette in Europa, haben hier unsere weiterverarbeitenden Anlagen, die zu den besten der Welt gehören und sich nicht so einfach verschieben lassen. Außerdem verfügen wir hier über unsere Mitarbeiter mit ihren Qualifikationen. Deswegen wollen wir hier bleiben und arbeiten daran, dass die politischen Randbedingungen unsere Leistungen ermöglichen.
Hinzu kommt die Versorgungssicherheit. Gerade bei Erdgas ist die doch mit dem Krieg in der Ukraine nicht gesichert.
Am Ende wechseln wir auf Wasserstoff als Energieträger. Dazu müssen die Kapazitäten aufgebaut werden, da es im Moment nicht ausreichend Wasserstoff gibt. Bis wir da sind, ist Erdgas die Übergangslösung. Zweifel an einer Versorgung habe ich nicht.
Wollen Ihre Kunden denn grünen Stahl, wenn der teurer wird?
Es fragen alle nach grünem Stahl. Über die Nachfrage mache ich mir überhaupt keine Sorge. Die Frage allerdings ist, inwiefern wir die Kosten umlegen können.
Um wie viel Geld wird eine Tonne sich denn verteuern?
Das lässt sich kaum beziffern, da wir die Ausgabenseite heute nicht vollständig kennen. Wir schätzen aber Mehrkosten von 150 bis 250 Euro pro Tonne Stahl. Wir sind aber nicht die Einzigen, die mit höheren Kosten umgehen müssen. Die Hersteller von Kunststoffen oder anderer Metalle gehen den gleichen Weg. Letztlich werden wir alle die Mehrkosten tragen müssen.
Wird damit nicht die Stahlindustrie aus dem Markt gedrängt? In anderen Weltregionen lässt sich das Material wirtschaftlicher herstellen.
Wir sind ein integraler Bestandteil der Industrie und damit ein wichtiger Garant für den Wohlstand in diesem Land. Jeder muss daher ein Interesse daran haben, dass unsere Industrie sich umstellen kann. Die aktuellen Pläne der Europäischen Union drohen uns zu überfordern. Wenn die Politik nicht korrigierend eingreift, droht Carbon Leakage, also das Abwandern der Industrie. Das kann nicht die Lösung sein.
Lässt sich der Weg nicht besser gehen in großen Verbünden? Die technologische Veränderung kann doch ein Katalysator für
die lang erwartete Konsolidierung sein.
Mit Blick auf die gewaltigen Investitionen, vor denen wir alle stehen, halte ich Kooperationen für denkbar. So lassen sich die Anlagen insbesondere in der Hochlaufphase wirtschaftlicher betreiben. Eine Fusionswelle erwarte ich nicht. Da hat es in der Vergangenheit eine Reihe von Anläufen gegeben, die fruchtlos blieben.
Gibt es konkrete Gespräche über solche Kooperationen?
Das Land Niedersachsen hat eine gemeinsame Anlage am Standort Wilhelmshaven ins Spiel gebracht. Das schauen wir uns natürlich an.
Herr Köhler, vielen Dank für das Interview.
Redakteur: Martin Murphy
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